Bericht über die Mitgliederversammlung der ADT am 10. Oktober 2016
Aktuelle Themen der EU-Tierschutzpolitik, die Herausforderungen an Tierzucht und –haltung aus Sicht einer Landestierschutzbeauftragten und die jüngsten Vorschläge der Europäischen Kommission in der Klimapolitik und deren Folgen für die Tierproduktion waren die Hauptthemen für die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter (ADT), die am 10. Oktober 2016 in der Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union in Brüssel stattfand. Die Vertreter der deutschen Tierartendachverbände wurden von Alexandra Kostorz vom Referat Tiergesundheit und Tierschutz in der Generaldirektion Sante darüber informiert, dass Vytenis Andriukaitis, der zuständige EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, zunächst die noch ausstehenden Maßnahmen der EU-Tierschutzstrategie 2012 – 2015 zu Ende führen möchte, bevor über neue gesetzliche Regelungen in diesem Bereich beschlossen wird. Die Kommission hält die bestehende Tierschutzgesetzgebung vom Grundsatz her für ausreichend, wird aber künftig noch stärker auf die korrekte Umsetzung durch die Mitgliedstaaten drängen; Schwerpunkte sind zunächst der Tiertransport und die Schweinehaltung. Auf den Erfahrungen aus den jüngsten Informationsbesuchen zum Austausch über beste Praktiken bei der Haltung von Schweinen mit intakten Schwänzen aufbauend, wird die Kommission entsprechende Informationsmaterialien für Landwirte zur Unterstützung des Managements in den Betrieben erstellen. Breiten Raum werden ferner die angestrebte Etablierung der EU-Tierschutzplattform und deren Vernetzung mit den noch zu benennenden Tierschutz-Referenzzentren der EU einnehmen. Im zweiten Vortrag erläuterte die Landestierschutzbeauftragte aus Baden-Württemberg, Cornelie Jäger, die aus ihrer Sicht größten Herausforderungen für die Branche, verbunden mit Vorschlägen, wie sich gesellschaftliche Akzeptanz vielleicht zurückgewinnen ließe. Hauptvorwurf an die Tierzucht sei eine zu starke Ausrichtung auf hohe Leistungen und eine zu geringe Berücksichtigung von Robustheit und Gesundheit. Dies sei eine große Herausforderung für den Stoffwechsel und für die Fütterung der Tiere. Als weiteren Vorwurf nannte Frau Jäger eine zu kurze Nutzungsdauer, wobei die anwesenden Tierzuchtexperten auf gegenteilige Daten und Entwicklungen in der Zucht sowie auf betriebswirtschaftliche Aspekte der Nutzungsdauer verwiesen. In Anlehnung an das Gutachten der Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik und für Waldpolitik beim BMEL schlug sie vor, die Zucht konsequent auf Lebensleistung auszurichten und dabei tatsächlich auf Spitzenleistungen zu verzichten. Außerdem sollten die Tierhalter verstärkt auf Eigenkontrollen setzen und offener kommunizieren, um die Wissenslücken bei den Verbrauchern zu schließen. Ger Klassen von der Generaldirektion Klimapolitik präsentierte das Maßnahmenpaket der Kommission für den Übergang Europas zu einer CO2-armen Wirtschaft. Die Vorschläge vom Juli 2016 enthalten verbindliche nationale Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch die Mitgliedstaaten. Demnach soll der Wirtschaftszweig Landwirtschaft seine Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 30 % senken. Die nationalen Emissionsminderungsziele fallen je nach Mitgliedstaat unterschiedlich hoch aus; Deutschland liegt mit -38 % leicht über dem EU-Durchschnitt. Bei den Optionen zur Reduzierung der Nicht-CO2-Emissionen kommt der Zucht auf Futtereffizienz große Bedeutung zu. Die Frage nach den Auswirkungen der Reduktionsziele auf die Tierproduktion in Deutschland konnte nicht beantwortet werden, weil es hierfür keine konkreten Vorgaben seitens der Kommission gibt, sondern es den Mitgliedstaaten überlassen ist, in welchen Sektoren und durch welche Maßnahmen die Emissionsminderung erreicht wird.
Geschäftsführer Hans-Peter Schons hatte zuvor über das positive Ergebnis des Geschäftsjahres 2015 und aktuelle Schwerpunkte der Verbandsarbeit berichtet, zu denen die EU-Tierzuchtverordnung und das EU-Tiergesundheitsgesetz zählten. Beide Rechtsakte sind inzwischen im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden; werden aber erst nach einer Übergangzeit vollständig angewandt (die im Fall der Tierzuchtverordnung am 1. November 2018 und im Fall des Tiergesundheitsrechts am 21. April 2021 abläuft). Bis dahin hat die Europäische Kommission noch zahlreiche delegierte bzw. Durchführungsrechtsakte zu erlassen, mit denen die EU-weit geltenden Bestimmungen präzisiert und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten harmonisiert werden sollen. Die ADT bringt sich außerdem in ein neues Pilotprojekt zu bewährten Methoden beim Tiertransport ein, dessen Ziel die Erstellung und Verbreitung von tierartenspezifischen Leitlinien ist. Die darin getroffene Unterscheidung zwischen guten und besten Praktiken wird derzeit noch von Experten in verschiedenen Arbeitsgruppen diskutiert. Bis Ende dieses Jahres sollen die endgültigen Texte fertig gestellt sein.
Die Mitgliederversammlung hat zudem das Präsidium neu gewählt. Der schleswig-holsteinische Europaabgeordnete Reimer Böge wurde einstimmig als Präsident der ADT bestätigt. Für die weitere Amtszeit von drei Jahren steht ihm wie bisher Hans-Benno Wichert als Vizepräsident zur Seite, der den Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion (ZDS) vertritt. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung ist weiterhin durch den Vorsitzenden des Bereiches Zucht, Theodor Leuchten, vertreten und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rinderzüchter (ADR) durch ihren Vorsitzenden Josef Hannen. Neu gewählt wurde Friedrich-Otto Ripke, der vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) vorgeschlagen wurde und Leo Graf von Drechsel im ADT-Präsidium ablöst.
Im Namen der gastgebenden Landesvertretung begrüßte Dr. Jörg Hirsche die Gäste zum traditionellen Parlamentarischen Abend, der sich diesmal mit neuen Züchtungstechniken
wie dem Gene editing
befasste. Präsident Reimer Böge hob die besondere Aktualität des Themas auf EU-Ebene hervor, wo die Europäische Kommission ihre lange angekündigte rechtliche Einordnung bestimmter Techniken bereits mehrfach verschoben hat. ADT-Geschäftsführer Hans-Peter Schons betonte, dass sich die neuen Verfahren insbesondere im Zusammenspiel mit den zu erwartenden Fortschritten in der Genomanalyse und der Digitalisierung zu einer Schlüsseltechnologie entwickeln werden. Er mahnte eine institutionalisierte Debatte mit der Zivilgesellschaft an, die sich nicht auf kurzfristige Kosten-Nutzen-Betrachtungen beschränkt, sondern in einem weiter gefassten Rahmen die Werte und Visionen verschiedener Lebenseinstellungen und Handlungsalternativen einbezieht. Inga Schiefler vom Förderverein Bioökonomieforschung (FBF) erläuterte danach die Techniken des gene editing und beleuchtete die Chancen und Risiken. Angesichts der rasanten Weiterentwicklung der Methoden plädierte sie dafür, durch entsprechende Forschung ausreichende Kompetenzen in Deutschland zu schaffen, damit Wissenschaftler, Behörden und Wirtschaft auf einer soliden Grundlage Entscheidungen treffen können. Die von ADR-Geschäftsführerin Bianca Lind moderierte Diskussionsrunde mit Frau Schiefler und den deutschen Europaabgeordneten Martin Häusling (Bündnis 90/Die Grünen), Maria Noichl (SPD), Ulrike Müller (Freie Wähler) und Albert Deß (CSU) war sich einig, dass man sich dem Fortschritt nicht verschließen sollte, jedoch auch nicht alles zur Anwendung bringen müsse, was wissenschaftlich-technisch möglich ist. Die Tierzüchter wurden aufgefordert, sich genau zu überlegen, was sie mit den neuen Verfahren erreichen wollen und zudem auf den Erhalt der genetischen Vielfalt zu achten. Hervorgehoben wurde ferner die Bedeutung einer unabhängigen Forschung.
Dr. Inga Schiefler vom FBF erklärt neue molekularbiologische Verfahren.
Auf dem Podium waren diesmal (v.l.n.r.): Inga Schiefler (FBF), Martin Häusling (Bündnis 90/Die Grünen), Maria Noichl (SPD), Bianca Lind (ADR), Ulrike Müller (Freie Wähler) und Albert Dess (CSU)