Bericht über die Mitgliederversammlung und den Parlamentarischen Abend der ADT am 23. Oktober 2023
Auch wenn sich die Vorlage entsprechender Gesetzgebungsvorschläge nun verzögern wird, so misst die Europäische Kommission dem Tierschutz unverändert eine sehr hohe Bedeutung zu. Die Hintergründe der jüngsten Entwicklungen in diesem Dossier erläuterte der Leiter des Tierschutzreferats bei der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (SANTE) der Europäischen Kommission, Herr Andrea Gavinelli, anlässlich der diesjährigen Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter (ADT) am 23. Oktober 2023 in der Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union in Brüssel. Während der Vorschlag für eine überarbeitete Verordnung zum Wohlbefinden von Tieren beim Transport im Dezember kommen dürfte, wird an den anderen drei Elementen des von der Kommission angekündigten Gesetzgebungspaketes noch weitergearbeitet. Der Text zum Tiertransport ist am weitesten fortgeschritten und außerdem lassen hier das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C‑424/13 (EU-Tierschutzregelungen gelten bei Tiertransporten in Drittländer auch außerhalb der EU) sowie ein Bericht des Europäischen Rechnungshofes vom April 2023 (Analyse 03/2023: Lebendtiertransporte in der EU: Herausforderungen und Chancen) konkrete Gesetzesänderungen besonders dringlich erscheinen. Mit ihrem Vorschlag will die Kommission die vom Rechnungshof festgestellte uneinheitliche Durchsetzung der EU-Tiertransportverordnung in den Mitgliedstaaten verbessern und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wohlbefinden von Tieren berücksichtigen. Ähnlich wie die Prüfer des Rechnungshofs hob der Kommissionsbeamte das Potenzial von IT und technologischen Verbesserungen in diesem Bereich hervor: ein IT-System könnte bei der Nachverfolgung von Lebendtiertransporten und einer besseren Auswertung der Daten helfen, und mit Kameras und Sensoren könnten Tiertransporte überwacht und das Tierwohl gemessen werden.
Die Vorschriften in den anderen Bereichen (Tierschutz auf den Betrieben, Tierschutz bei der Tötung und Tierwohllabelling) sind im Vergleich dazu komplexer und müssen auch enger untereinander abgestimmt sein. Zudem sollen sie zum geplanten EU-Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme (FSFS) passen, der ebenfalls erst später vorgelegt und unter anderem auch die Nachhaltigkeitskennzeichnung regeln wird. Gavinelli erinnerte daran, dass die Kommission seit über 40 Jahren mit ihrer Tierschutzgesetzgebung geholfen hat, die Haltungsbedingungen schrittweise zu verbessern. Heute gehören diese Standards zu den weltweit strengsten. Die Weiterentwicklung erfolgt in einem besonderen Moment, der durch verschiedene globale Krisen gekennzeichnet ist, auf die zukunftsfeste Antworten gefunden werden müssen. Der Beamte machte darauf aufmerksam, dass die Tierschutzgesetzgebung erstmals im Mitentscheidungsverfahren beschlossen wird (die Haltungsbedingungen sind derzeit in Richtlinien enthalten, die erst noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen und die beiden Rechtsakte für den Tiertransport bzw. die Schlachtung sind Verordnungen des Rates, das heißt, das Parlament hatte keine Mitentscheidungsbefugnis). Insofern wird hier mit einer eher längeren Beratungszeit gerechnet, was eine Beschlussfassung vor dem anstehenden Europawahlkampf unwahrscheinlich erscheinen lässt.
In einem weiteren Vortrag diskutierten die Vertreter der deutschen Tierzuchtorganisationen mit Brigitte Misonne, Leiterin des Referats Tierische Erzeugnisse in der Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) über die aktuellen Entwicklungen an den Märkten für Fleisch. Diese waren in den letzten Jahren gekennzeichnet durch insgesamt sinkende Viehbestände und einen Anstieg des Selbstversorgungsgrades auf zuletzt rund 114 %. Dabei werden je nach Tierart unterschiedliche Entwicklungen und Perspektiven beobachtet. In ihrem jüngsten Ausblick prognostiziert die Kommission einen ausgeprägten Rückgang der Schweinefleischerzeugung zwischen 2022 und 2032 um jährlich 1,0 %. In den 10 Jahren zuvor war die Produktion jedes Jahr um durchschnittlich 0,4 % gewachsen. Der Sektor leidet unter hohen Kosten für Futtermittel und Energie und, trotz der vergleichsweise hohen Erzeugerpreise, niedrigen Margen. Gerade in Gebieten mit bereits hoher Schweinedichte sind Investitionen schwierig und die Afrikanische Schweinepest stellt ein dauerhaftes Risiko dar. Auch die Rindfleischproduktion soll um jährlich 0,9 % sinken, nachdem sie bereits von 2012 bis 2022 um 0,1 % p. a. zurückgegangen war. Nur bei Geflügelfleisch sind die Aussichten durchweg positiv; allerdings soll sich die jährliche Wachstumsrate 2022-2032 auf 0,2 % abschwächen, nach einer deutlichen Zunahme von jährlich 2,1 % im Vergleichszeitraum. Misonne kündigte an, dass die nächste mittelfristige Vorausschau bis zum Jahr 2035 verlängert wird, um neue Entwicklungen wie das Carbon farming, die Auswirkungen der überarbeiteten Industrieemissionsrichtlinie und mögliche Verringerungen der zulässigen Bestandsdichten im Rahmen der neuen EU-Tierschutzgesetze zu modellieren.
Geschäftsführer Hans-Peter Schons hatte zuvor über aktuelle Schwerpunkte der Verbandsarbeit berichtet, zu denen wie üblich das EU-Tiergesundheitsrecht, die Überarbeitung der EU-Tierschutzvorschriften, insbesondere zum Tiertransport, sowie die Mitarbeit in einem Projekt zur Bekämpfung von Resistenzen gegen antimikrobielle Mittel zählte (ROADMAP, www.roadmap-h2020.eu). Außerdem wies er auf zwei bevorstehende Veranstaltungen der Europäischen Vereinigung für Tiergesundheit und gesundheitliche Sicherheit (FESASS) hin: zum einen den Workshop zur Überwachung vektorübertragener Tierseuchen, der in Zusammenarbeit mit der spanischen Ratspräsidentschaft am 7. November 2023 in Brüssel organisiert wird und zum anderen auf die hochrangige Konferenz Herausforderung und Chancen für die Tiergesundheit
am 4. und 5. Dezember 2023 in Rom.
Der traditionelle Parlamentarische Abend fand ebenfalls in der Landesvertretung von Bayern statt. Christoph Härle betonte in seinem Grußwort die große Bedeutung der Zusammenarbeit im Sinne des One health
-Ansatzes, die von den drei dafür zuständigen bayerischen Staatsministerien beispielhaft umgesetzt wird. Präsident Reimer Böge dankte der Vertretung für die exzellente Vorbereitung und die eingebrachten Ideen. Für ihn bedeutet One health
auch, von gegenseitigen Schuldzuweisungen wegzukommen und sich auf konstruktive Lösungen im eigenen Zuständigkeitsbereich zu konzentrieren. Als Impuls für die Podiumsdiskussion stellte zunächst Michael Modlmaier vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Bayerische Aktionsbündnis Antibiotikaresistenz (BAKT) vor. Es beruht auf zwei Säulen, und zwar der Bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft resistente Erreger (LARE) für den Humanbereich und die Arbeitsgemeinschaft Resistente Erreger in der Veterinärmedizin (ARE-Vet) für den Veterinärbereich. Beide setzen den Gemeinsamen Bayerischen Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenzen um, dessen zahlreiche Handlungsfelder kurz erläutert wurden. Martina Enke (Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege) ging etwas genauer auf die Aufgaben der LARE ein, die viele spezifische Fragestellungen im Umgang mit multiresistenten Erregern bearbeitet und deren Arbeitsgruppen Informationen und Empfehlungen für unterschiedliche Zielgruppen herausgeben. Sie hob besonders die Antibiotic Stewardship (ABS) und die Bayerische Antibiotikaresistenz-Datenbank (BARDa) hervor, die seit 2019 ein kontinuierliches Monitoring durchführt. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Lage der Antibiotika-Resistenzen in Bayern weiterhin stabil ist. Anschließend erklärte Daniela McLoughlin (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz), dass die ARE-VET mit ihren über 20 Mitgliedern aus Veterinärmedizin, Hochschulen, Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion mehr ist als nur ein Stakeholderbündnis. Gestartet als Koordinations- und Kommunikationsplattform, ist sie sehr bald zu einem gemeinsamen Planen und Handeln gekommen. Es wurden Facharbeitsgruppen gegründet, Klausurtagungen organisiert sowie Informationsmaterialien und Expertenmeinungen für die Mitglieder bereitgestellt.
ADT-Geschäftsführer Hans-Peter Schons fasste die in der Farm to fork-Strategie niedergelegte Reduktionsvorgabe zusammen, wonach die Kommission Maßnahmen ergreifen wird, um die Gesamtverkäufe von für Nutztiere und Aquakultur bestimmten antimikrobiellen Mittel bis 2030 um 50 % zu verringern. Um dies einzuordnen, verglich er dies mit den Zahlen aus dem 12. ESVAC-Bericht, wonach der Absatz von antimikrobiellen Mitteln in 25 Ländern zwischen 2011 und 2021 um 46,5 % gesunken ist. In Deutschland betrug der Rückgang sogar 65 %. Mit Blick auf das Reduktionsziel wurde in diesem Bericht festgestellt, dass die EU-Mitgliedstaaten vom Bezugsjahr 2018 bis 2021 bereits rund ein Drittel davon erreicht hatten. In den sieben Jahren bis 2030 (wovon schon 2 vorbei sind) würden demnach sogar niedrigere jährliche Minderungsraten reichen. Der Geschäftsführer warnte davor, in der Debatte um den Antibiotikaverbrauch den Fokus auf die Resistenzen zu verlieren. Die Überwachungsergebnisse zeigen, dass eine Verringerung des Verkaufs nicht immer mit einem Rückgang der Resistenzen einhergeht und umgekehrt. Ein vollständiger Verzicht auf antimikrobielle Mittel ist nach Auffassung der ADT nicht möglich und auch nicht wünschenswert, denn um ihr Wohlbefinden zu sichern, haben erkrankte Tiere ein Recht auf Behandlung
. Schließlich sollte die Rolle der Haustiere im Blick behalten werden. Die ADT unterstützt die auf EU-Ebene beschlossene Ausweitung der Berichtspflichten, auch wenn dies mit einem höheren Aufwand verbunden sein wird. Die bisher erreichte Halbierung der Verkäufe war möglich, weil sich der Sektor engagiert und positive Veränderungen umgesetzt hat. Die Herausforderungen bleiben aber bestehen und man sollte ihnen mit einer Stärkung des One health
Ansatzes begegnen.
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit den beiden Europaabgeordnete Martin Häusling und Marlene Mortler wurde deutlich, wie unterschiedlich die Situation bewertet werden kann. Herr Häusling gab zu bedenken, dass es in den letzten Jahren keine wirklichen Fortschritte bei der Verringerung der Verkaufsmengen gegeben hat, eher eine Stagnation auf einem seiner Ansicht nach zu hohen Niveau. Deutschland solle sich an Ländern wie dem Vereinigten Königreich oder Schweden orientieren, die erheblich besser dastünden. Außerdem sei nicht zu leugnen, dass vor allem beim Geflügel regelmäßige Antibiotikagaben üblich seien und bei Tierhaltern vergleichsweise viele Resistenzgene gefunden würden. Frau Mortler dankte der ADT dafür, dass sie den Kampf gegen AMR zum Thema des Abends gemacht hat. Ein ganzheitlicher Ansatz von Human- und Veterinärmedizin sowie Umweltwissenschaften sei der einzig richtige Weg. Anstatt auf Verbote sollten wir uns auf Lösungen konzentrieren. Die Landwirte seien auf einem guten Weg. Frau Mc Loughin stellte heraus, dass die Mengenreduktion nicht der Hauptpunkt ist, sondern die Fortschritte beim sachgemäßen Einsatz (prudent use
). Die Tiermedizin müsse dafür die richtigen Arzneimittel zur Verfügung haben. Das Festlegen mittel- oder langfristiger Ziele reiche nicht aus, es gehe um konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von AMR, die jetzt stattfinden müssen. Ein Umbau der Tierhaltung könne helfen, aber er sei nicht von heute auf morgen möglich und müsse auch finanziert werden. Wichtig war ihr zudem die Feststellung, dass nicht der Tierhalter die Antibiotika einsetzt, sondern der Tierarzt, und zwar in einem vorgegebenen rechtlichen Rahmen.